Handyalarm im Knast

Den Bock zum Gärtner gemacht hat der Freistaat Bayern mit zwei Beamten der JVA Aschaffenburg.

Eigentlich stehen die Strafverteidiger unter dem Generalverdacht der Justiz ihren Mandanten im Knast ständig verbotene Dinge mitzubringen. Deshalb werden Verteidiger bei einem Knastbesuch hochnotpeinlich durchsucht. Bloß kein i-pad mit Simkarte mitnehmen oder gar Zigaretten oder Gummibärchen. All das führt zu einem „Strafrapport“ beim „Zoodirektor“. Die Vordertüre des Knastes ist sicherer als der Zugang zu Fort Knox, in dem ja noch die Goldreserve der USA liegen soll.

Jeder Knast hat aber eine schlecht gesicherte Hintertüre. Das ist der menschliche Faktor.

Schließer vor Gericht

Laut Berichten des Bayerischen Rundfunks stehen zwei Beamte der JVA Aschaffenburg vor dem Schöffengericht beim Amtsgericht Aschaffenburg.

Ihnen wird vorgeworfen, sie hätten Gefangenen dabei geholfen, Drogen und Handys in das Gefängnis im Stadtteil Strietwald zu schmuggeln. Zu Beginn des Prozesses legte der Jüngere der beiden Angeklagten ein Geständnis ab. Sein 47-jähriger Kollege bestreitet die Vorwürfe.

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Bedroht durch Gefangene

Der geständige Angeklagte gab in der von seinem Anwalt verlesenen Erklärung an, gleich viermal Gefangenen geholfen zu haben, mehrere Pakete in das Aschaffenburger Gefängnis zu schmuggeln. Jedoch habe er das nicht freiwillig und eigennützig getan, sondern wurde von einem Insassen bedroht. Der Gefangene, Mitglied einer Rockervereinigung, drohte dem Beamten, seine Familie würde unliebsamen Besuch bekommen, wenn er bei den illegalen Aktionen nicht mitmachen würde. Der JVA-Beamte ließ sich daraufhin auf den Deal ein und begleitete laut Medienberichten den Gefangenen zum Bereich der JVA, in dem der Müll gelagert wird. Dort gibt es keine Videoüberwachung und es konnten anonym Pakete hinterlegt werden, die von dem Gefangenen in seinem Beisein abgeholt wurden.

Der zweite JVA-Beamte wies laut Pressemitteilungen allerdings alle Vorwürfe zurück. “Er habe nie Handys oder andere unerlaubte Dinge in das Gefängnis eingeschmuggelt”, heißt es. Eine Erklärung, warum er angeschwärzt worden sei, hat der 47-Jährige nicht.

Häftlinge aus Würzburg und Schweinfurt

In der Justizvollzugsanstalt Aschaffenburg sitzen auch immer mal Untersuchungshäftlinge aus Würzburger oder Schweinfurter Verhandlungen ein. Insbesondere dann, wenn es mehrere Verdächtige in einem Fall gibt und diese bis zum Abschluss des Gerichtsverfahrens voneinander getrennt verwahrt werden müssen.

Kein Anschluß unter dieser Nummer

Es heißt, daß die Staatsanwaltschaft davon ausgeht, “dass in Aschaffenburg zwischen August 2014 und Anfang Februar 2015 ‘in zahlreichen Einzelfällen’ Mobiltelefone in die Justizvollzugsanstalt Aschaffenburg eingeschmuggelt wurden”. Insgesamt wurden 43 Handys sichergestellt. Angeblich sollen die beiden Angeklagten auch für die illegalen Machenschaften bezahlt worden sein. Zudem soll einer der beschuldigten Beamten eine Cannabisplantage in seiner Privatwohnung betrieben haben.

Knast durchsucht

Es wurden die Mobiltelefone und Drogen angeblich bei sogenannten Routinekontrollen der Gefängniszellen gefunden. Es heißt aber auch, dass “ein Insasse der JVA (…) den Ermittlern entsprechende Hinweise gegeben” habe. Daraufhin wurde das Gefängnis von der Polizei mit einer Hundertschaft stundenlang durchsucht und auch Beweismaterial sichergestellt.

 

Briefe aus der Todeszelle

„Die Toedts verbringen zwei Wochen im Kloster Ettal, beten mit den Mönchen. Sie lernen Edwin Erhard kennen, Pfarrer in Hammelburg und ehemaliger Gefängnisseelsorger. Er nimmt sie in seiner katholischen Gemeinde zwischen den Weinbergen im äußersten Norden Bayerns auf. Er macht sie auch mit Ralf aus der JVA Würzburg bekannt, der erste Brieffreund der Toedts.

Ralf hat im Suff einer Silvesternacht seine Frau erstochen. Heute weiß er nicht mehr warum. Den Toedts hat Ralf ein Foto geschickt, zwei blonde Kinder auf seinem Schoß, seine Frau hält ein Neugeborenes in die Kamera. Pfarrer Erhard nahm die Toedts mit zu Ralf ins Gefängnis, durch die Sicherheitsschleusen, zwei mal 45 beklemmende Minuten. Auf der Rückfahrt sprachen sie kein Wort.“

Brieffreundschaft: „Die Gefangenen sind unser Leben“ | ZEIT ONLINE

Bonnie und Clyde-Syndrom

„Gefährliche Liebe im Knast“.

Mit diesem Aspekt beschäftigt sich die Neue Zürcher Zeitung in einem beachtenswerten Artikel in ihrer Ausgabe vom 13.5.2016.

Anlass des Berichts ist das Abenteuer von Angela Magdici und Hassan Kiko. Die Schweizer Gefängnisaufseherin hat in einer Nacht- und Nebelaktion ihren Geliebten Hassan Kiko aus einem schweizer Gefängnis entweichen lassen. Anschliessend flüchteten beide nach Italien, wo sie festgenommen worden waren. Während der wegen zweier Sexualdelikte vorbestrafte und in einem weiteren Fall noch nicht rechtskräftig verurteile Syrer in Italien auf seine Auslieferung in die Schweiz wartet, befindet sich sich die Gefängniswärterin wieder in der Schweiz und auf freiem Fuss. Sie könnte für die Fluchthilfe mit einer bedingten Freiheitsstrafe davonkommen, während sich ihr Geliebter mit dem Ausbruch aus dem Gefängnis nicht strafbar gemacht hat, weil Selbstbegünstigung durch Selbstbefreiung aus behördlichem Gewahrsam auch in der Schweiz nicht geahndet wird. 

«Liebesbeziehungen zwischen Gefängnisangestellten und Gefangen enden fast immer in einer Tragödie – die beiden sind schlicht zu ungleich, als dass die Beziehung bestehen könnte», sagt Philippe Bensimon von der Université de Montréal. Der kanadische Kriminologe hat sich intensiv mit dem in der Fachwelt als  Hybristophilie bezeichneten Phänomen beschäftigt und jüngst darüber eine Studie auf dem Fach­portal «Délinquan­ce, justice et autres questions de société» veröffentlicht http://bit.ly/1rxOH4 m. Seine zentrale Erkenntnis: Solche Romanzen sind weiter verbreitet, als man denkt, trotzdem gehen die Behörden der Problematik lieber aus dem Weg. 

Hybristophilie: 4%

So gross ist laut Schätzungen in den USA der Anteil von Angestellten in Gefängnissen, die sich auf eine Liebesbeziehung mit Gefangenen einlassen.

«Jedes Gefängnis in der westlichen Welt ist davon betroffen, aber die Gefängnisverwaltungen weigern sich, darüber zu reden, dass es amouröse und sogar sexuelle Beziehungen zwischen Angestellten und Gefangen gibt», erklärt Philippe Bensimon. Einigermassen verlässliche Zahlen zur Häufigkeit solcher Beziehungen existieren nur in den USA. In der amerikanischen Gesetzgebung wird der Begriff des sexuellen Fehlverhaltens so breit aufgefasst, dass schon blosse Verliebtheit zwischen Angestellten einer Vollzugsanstalt – seien es Aufseher, Psychologen oder Sozialarbeiter – und Gefangenen darunterfällt und sanktioniert wird.

Um Gefangene zu schützen, werden sexuelle Kontakte gemäss dem Prison Rape Elimination Act von 2003 verfolgt und mit mindestens zwei Jahren Gefängnis bestraft – selbst wenn der Austausch in gegenseitigem Einvernehmen erfolgt. 2006 wurden den Justizbehörden in den USA 60 500 Fälle von sexuellem Fehlverhalten gemeldet – bei einer Gefängnis­popula­tion von 1,6 Millionen Menschen. «In 20 Jahren gab es rund eine Million Fälle», so der Kriminologe Bensimon. 

Auch in Deutschland ist die Gefangenenbefreiung durch § 120 StGB explizit unter Strafe gestellt. Dabei kann – außer dem Flüchtenden selbst – grundsätzlich jeder Täter sein, als auch Mitarbeiter der JVA.

Statistiken hierzu gibt es in Europa keine, Bensimon hat aber rund 300 Fällen zusammengetragen, über die in europäischen und nordamerikanischen Medien zwischen 2005 bis 2015 berichtet wurde. 

«Man kann diese Art von Beziehungen nicht verbieten. Wird aber nicht einmal darüber geredet, bleiben die Probleme bestehen.»

Aus den USA ist auch bekannt, dass aufseiten des Personals mehrheitlich Frauen von dem Phänomen betroffen sind. Letztes Jahr ist eine Studie zum Schluss gekommen, dass an rund drei Vierteln aller Fälle sexuellen Fehlverhaltens weibliche Angestellte beteiligt sind, obwohl diese nur einen Drittel des Gefängnispersonals ausmachen. Dieser Umstand hat laut Bensimon damit zu tun, dass in den therapeutischen Bereichen von Gefängnissen, etwa bei der psychologischen oder sozialtherapeutischen Betreuung von männlichen Gefangenen häufiger Frauen als Männer tätig sind. «Ich denke nicht, dass die Frauen generell anfälliger sind, aber die Situation in einem Gefängnis lässt sich mit nichts vergleichen», sagt der erfahrene Kriminologe. Unter Gefangenen herrsche ein «hypersexualisiertes Milieu», in dem Frauen geradezu vergöttert würden. «Führt eine Gefängnisangestellte ein normales, emotional ausgeglichenes Leben, lässt sie sich davon nicht berühren. Hat sie aber persönliche Probleme, ist sie im Kontext eines Gefängnisses besonders gefährdet.» Philippe Bensimon wirft den Gefängnisverwaltungen vor, sie würden das Thema auch deshalb lieber nicht anschneiden, weil sie wegen des grösseren Frauenanteils aufseiten der beteiligten Angestellten Angst hätten, sich dem Vorwurf des Sexismus auszusetzen. 

«Ist man im Justizvollzug während Jahren mit einem Gefangenen konfrontiert, ist es völlig normal, dass sich eine gewisse Empathie entwickelt», sagt Bensimon. «Man muss sich dessen jedoch bewusst sein und damit umgehen können.» Der Kriminologe verlangt deshalb, dass die persönliche Eignung des Personals bei der Rekrutierung besser geprüft und das Thema «Beziehungen mit Gefangenen» in der Ausbildung endlich explizit angesprochen werde. «Man kann diese Art von Beziehungen nicht verbieten – das ist unmöglich. Wird aber nicht einmal darüber geredet, bleiben die Probleme bestehen», sagt Bensimon.

http://www.nzz.ch/nzzas/nzz-am-sonntag/wissen-gefaehrliche-liebe-im-knast-ld.82387