Bamberger JVA-Verhältnisse – und die Frage der Zellengröße

imageDie JVA Bamberg befindet sich auf dem Gelände der privaten Stiftung Elisabethenspital aus dem 14. Jahrhundert in Bamberg unterhalb des Dombergs im Stadtteil Sand.

Die 1995 für 18,2 Millionen DM sanierte Haftanstalt hat eine Belegungsfähigkeit von 212 Haftplätzen im Erst- und Regelvollzug, darunter 25 Frauen und 27 im offenen Vollzug. Im Volksmund wird die Anstalt wegen ihrer Lage an der Oberen Sandstraße auch Café Sandbad genannt. Es ist ein Neubau geplant

Die Haftbedingungen sind sehr beengt. Das hat ein Häftling zum Anlass genommen wegen seiner Haftbedingungen Schadensersatz vom Freistaat Bayern zu fordern. Für die Klage begehrte er Verfahrenskostenhilfe. Die ihm durch die Bamberger Justiz versagt worden war. Die hiergegen gerichtet Verfassungsbeschwerde war erfolgreich. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt:

Im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung ist die Frage nach der Menschenwürdigkeit der Unterbringung von Strafgefangenen von einer Gesamtschau der tatsächlichen, die Haftsituation bestimmenden Umstände abhängt, wobei als Faktoren in räumlicher Hinsicht in erster Linie die Bodenfläche pro Gefangenen und die Situation der sanitären Anlagen, namentlich die Abtrennung und Belüftung der Toilette, zu beachten sind1 und als die Haftsituation mildernde oder verschärfende Merkmale der Umfang der täglichen Einschlusszeiten und die Belegdichte des Haftraums Berücksichtigung finden.

Die Frage, wie diese Faktoren zu bewerten sind und insbesondere, ob oder unter welchen Bedingungen – wie es die angegriffenen Entscheidungen für ausreichend halten – auch eine anteilige Grundfläche von unter 6 m² pro Gefangenen den Anforderungen der Menschenwürdegarantie genügen kann, ist in der Rechtsprechung nicht geklärt.
Allerdings lässt sich die Frage, wann die räumlichen Verhältnisse in einer Haftanstalt derart beengt sind, dass die Unterbringung eines Gefangenen dessen Menschenwürde verletzt, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht abstrakt-generell klären, sondern muss der tatrichterlichen Beurteilung überlassen bleiben. Danach kann es die Klärung eines verfassungsmäßigen Raummindestsolls im Sinne schematisch festgelegter allgemeiner Maßzahlen nicht geben. Dies stellt jedoch nicht in Frage, dass es für die Anforderungen an menschenwürdige Haftbedingungen der Herausbildung auch übergreifender Grundsätze und Unterscheidungsmerkmale bedarf, die sowohl den Betroffenen als auch den Behörden Kriterien an die Hand geben, die die Beurteilung der Menschenwürdigkeit der Unterbringung hinreichend vorhersehbar machen.
Diese Anforderungen sind zurzeit nicht geklärt und werden von den Gerichten verschieden beurteilt.
So setzt die obergerichtliche Rechtsprechung bei mehrfach belegten Hafträumen zum Teil Regelwerte von 6 m², zum Teil auch von 7 m² Bodenfläche pro Gefangenen an. Deren Unterschreitung wird zum Teil als Menschenwürdeverletzung beurteilt, wenn zugleich die Toilette nicht abgetrennt beziehungsweise nicht gesondert entlüftet ist. In anderen Fällen haben Fachgerichte eine Verletzung der Menschenwürde unabhängig hiervon allein wegen der Unterschreitung eines gewissen Bodenflächenmaßes bejaht, da die räumliche Enge eine Bewegung und Entfaltung der Gefangenen nicht erlaube.

Die Oberlandesgerichte Hamm und Düsseldorf setzen einen fixen Schwellenwert von 5 m² Grundfläche pro Gefangenen an, dessen Unterschreitung ungeachtet anderer Parameter eine Menschenwürdeverletzung bedinge. Bezüglich der Unterbringung in einem Einzelhaftraum hat der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin eine längere Unterbringung in einem 5, 25 m² messenden Einzelhaftraum ohne abgetrennte Toilette für menschenwürdewidrig befunden und das Hauptaugenmerk auf die beengte Haftsituation gelegt.

Angesichts der Rechtsprechung kann nicht als geklärt gelten, dass und unter welchen Umständen eine Haftraumfläche wie hier von weniger als 6 m² den Erfordernissen der Menschenwürdegarantie des gemeinschaftlich untergebrachten Untersuchungsgefangenen entspricht.

Indem das Landgericht Bamberg und das Oberlandesgericht Bamberg der beabsichtigten Amtshaftungsklage ungeachtet dieser ungeklärten Rechtsfrage die Erfolgsaussicht von vornherein abgesprochen und Prozesskostenhilfe verweigert haben, haben sie den Anspruch des Untersuchungshäftlingss auf Rechtsschutzgleichheit verletzt.

Die für die Beurteilung des Begehrens des Untersuchungshäftlingss maßgeblichen Rechtsfragen durften nicht in das Prozesskostenhilfeverfahren vorverlagert werden, sondern bedürfen einer Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren, die es dem Untersuchungshäftlings auch ermöglicht, diese gegebenenfalls einer höchstrichterlichen Klärung zuzuführen.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 13. Juli 2016 – 1 BvR 183/12

Hierzu weiter:
1. vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 14.07.2015 – 1 BvR 1127/14, NJW 2016, S. 389, 390; Beschluss vom 22.03.2016 – 2 BvR 566/15
2. beispielhaft BGH, Urteil vom 04.07.2013 – III ZR 342/12, BGHZ 198, 1
3. vgl. BGH, Urteil vom 11.03.2010 – III ZR 124/09, NJW-RR 2010, S. 1465
4. vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 18.07.2003 – 3 Ws 578/03, NJW 2003, S. 2843, 2845; OLG Hamburg, Urteil vom 14.01.2005 – 1 U 43/04 42; OLG Koblenz, Urteil vom 15.03.2006 – 1 U 1286/05 11 ff.
5. so OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 21.02.2005 – 3 Ws 1342 – 1343/04 [StVollz] u.a., NStZ-RR 2005, S. 155, 156: Menschenwürdeverletzung bei 3, 85 m² pro Gefangenen in Mehrfachbelegung bei abgetrennter Toilette; Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 19.06.2008 – 11 U 24/07 26: 3, 75 m² pro Gefangenen bei hinzukommender Erschwernis der nicht abgetrennten Toilette
6. vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.11.2011 – I-18 W 31/11, 18 W 31/11, juris; OLG Hamm, Urteil vom 29.09.2010 – 11 U 88/08, I-11 U 88/08, juris; Urteil vom 18.03.2009 – 11 U 88/08, juris; Beschluss vom 25.03.2009 – 11 W 106/08, NStZ-RR 2009, S. 326
7. vgl. BerlVerfGH, Beschluss vom 03.11.2009 – VerfGH 184/07, LKV 2010, S. 26
8. weitere Nachweise in BVerfGK 12, 417, 420 f. sowie BGHZ 198, 1, 4 ff.
9. LG Bamberg, Beschluss vom 16.08.2011 – 1 O 258/11
10. OLG Bamberg, Beschluss vom 20.12 2011 – 4 W 104/11

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